Offener Brief an Herrn Tönnies

Sie sind ein besonders erfolgreicher Geschäftsmann, dem es gelungen ist, aus einer Metzgerei ein bedeutendes – und wie unsere Landesregierung es eingestuft hat- systemrelevantes Unternehmen zuschaffen. Dazu gehören Visionen, Tatkraft Mut und vielleicht auch eine gewisse Unerschrockenheit.

Bei all diesen Erfolgen darf man aber nicht die Mittel aus dem Auge verlieren, die Sie – und andere der Branche – dabei angewendet haben.

Die Leiharbeiter in ihren Firmen waren

–schlecht untergebracht

–schlecht bezahlt

–wurden oft in eine Scheinselbstständigkeit gezwungen

–und eine angemessene Interessenvertretung im Betrieb war nicht möglich

Ich möchte hier ausdrücklich anmerken, dies war bei einer „kreativen Auslegung“ des Arbeitsrechtsdurchaus „legal“. Mit den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft, die wir offiziell noch nicht ganz abgeschafft haben, aber nur schwer vereinbar.

Nun haben sich in ihrem Betrieb unfassbar viele Menschen mit Covid 19 infiziert – nicht zuletzt, weil ihr Betrieb nach den erschreckenden Ergebnissen der Firma Westfleisch ohne Einschränkungen weiter produzieren durfte. Scheinbar haben ihre Verbindungen in die richtigen politischen Kreise diese Ausnahmeregelung ermöglicht. Faktum ist, durch ihre unternehmerische Entscheidung haben viele Menschen sich infiziert, wissen nicht, welchen Verlauf die Erkrankung bei ihnen nehmen wird und ob sie mit Folgeschäden rechnen müssen. Können Sie in dieser Situation noch ruhig schlafen??? Auf der einen Seite ihr Profit – auf der anderen kranke Menschen,die nicht nur für einen Hungerlohn für Sie gearbeitet haben, sondern noch ihre Gesundheit und sogar im schlimmsten Fall ihr Leben dafür eingesetzt haben.

In einer solchen Situation, die für viele BürgerInnen in zwei Landkreisen zu wirklich schweren Einbussen ihrer persönlichen Freiheit geführt haben

–wer betreut die Kinder, wenn die Schulen und Kitas wieder 14 Tage geschlossen bleiben

–wer erstattet den Familien die Kosten für den geplanten Sommerurlaub, den sie auf Grund des von Ihnen zu verantwortenden Lockdowns nicht antreten können

–wer hilft SeniorInnen, die jetzt wieder in die totale Isolation gezwungen werden

–wer übernimmt die Kosten für die Geschäftsleute, die gerade erst wieder die Läden öffnen durften…

Diese Aufzählung kann ich noch weiter führen. Vielleicht wird Ihnen jetzt der Unterschied von legal und legitim deutlich:

Als ich gelesen habe, dass Sie für die Lohnkosten des Lockdowns einen Erstattungsantrag bei der Landesregierung gestellt haben, war mein erster Gedanke: Verfügt Clemens Tönnies über so wenig soziales Gespür, dass ihm und seinen Beratern nicht klar wird, welche Welle der Empörung er damit lostritt?

Um es ganz deutlich zu machen: Ihr Antrag ist formal nicht zu beanstanden, er ist legal.Aber ist ein solcher Antrag auch legitim, angesichts des vielfachen Leids und der immensen Kosten für Einzelne wie für die Kommunen, die durch ihre Firma entstanden sind. Ist ein solchen Vorgehenanständig??? Sie stehen in der Tradition eines Familienbetriebs, solche Firmeninhaber hatten in der Vergangenheit selbstverständlich auch ihren Gewinn im Auge aber auch das Wohl ihrer Belegschaftund deren Familien und für die Gemeinde oder die Stadt waren solche Unternehmer immer Helfer, wenn es etwas Wichtiges zu finanzieren gab.

Sie sind kein armer Mann – bitte denken Sie an an das Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet!“Vielleicht finden Sie hier auch kreative Lösungen.

Barbara Wolter, Rheurdt